Kiebitz in Not
Nicht jeder kennt mehr die großen Schwärme der taubengroßen Vögel mit dem lustigen Federschopf auf dem Hinterkopf. Oder ihre akrobatischen Balzflüge im Frühjahr. Ebenso wenig die in Salzwasser eingelegten, bunt gesprenkelten Eier, die vor gar nicht allzu langer Zeit noch auf dem Hanauer Wochenmarkt als Soleier verkauft wurden.
Nur denjenigen, denen das alles noch allzu gut bekannt ist, ist in den letzten Jahren eins bewusst geworden: Den Kiebitz haben sie schon lange nicht mehr zu Gesicht bekommen.
„Kiewitt, kiewitt" – das ist der Ruf des in Hessen inzwischen stark gefähr-deten Wiesenvogels. Er war früher einmal - landauf, landab – weithin zu hören und ein sicheres Zeichen für den beginnenden Frühling im Lande.
Zu ihren besten Zeiten sollen es über 2.000 Brutpaare gewesen sein, die im feuchten Grünland der hessischen Bach- und Flussauen nisteten, ihre Jun-gen aufzogen und nach Nahrung suchten. Aber selbst die feuchten Wiesen und Weiden sind nicht die angestammten Lebensräume der Wiesenvögel. Ursprünglich besiedelten sie die natürlicherweise flachen, baumarmen und weithin offenen Landschaften: Hoch- und Niedermoore, Heiden, Steppen, Dünen, Ufergrünland oder Salzwiesen.
Erst als Kulturfolger des Menschen haben Wiesenvögel im extensiv bewirtschafteten, wechselfeuchten bis nassen Grünland vorübergehend günstigere Lebensbedingungen vorgefunden. Aber die Ersatzlebensräume sind schon lange nicht mehr das, was sie für das Überleben des Kiebitz einmal waren: Ein sicherer Zufluchtsort in einer von den Bedürfnissen des Menschen geprägten Umwelt.
Ausgedehnte Entwässerungen und der großflächige Umbruch von Feucht-grünland zwangen die Flugkünstler dazu, auch die neuen Brut- und Rastplätze zu räumen und auf Ackerland auszuweichen. Mit mäßigem bis gar keinem Erfolg: Rasche Fruchtfolgen, Dünger und Pestizide lassen den Nachwuchs zu Grunde gehen und immer weniger Kiebitze kehrten nach Hessen zurück. Innerhalb weniger Jahre ist der Bestand um 95 % auf nur 150 Brutpaare gesunken.
Mit Ausnahme des Weißstorches, der auf Bäumen oder Masten, auf Dächern oder Schornsteinen brütet, haben alle Wiesenvögel eins gemein-sam: Sie brüten auf dem Boden, so dass die Vögel eine freie Sicht nach allen Seiten haben. Das, was sich gegen Räuber und andere Gefahren bewährt hat, genau das ist ihnen nun zum Verhängnis geworden. Keimt erst einmal die Saat auf dem Acker, entpuppt sich dieser als tückische Falle. Landwirtschaftliche Maschinen überfahren Gelege und Jungvögel, Pestizide vernichten Käfer und Ameisen, aber auch Regenwürmer, Insektenlarven und andere wirbellose Bodentiere, die die Hauptnahrung des Kiebitzes darstellen.
Außerdem sind Kiebitzküken nur schwer zu beaufsichtigen. Als Nest-flüchter verlassen sie gleich nach dem Schlupf ihre Nestmulde und erkunden neugierig die Umgebung. Die Vegetation darf dabei weder zu hoch sein noch zu dicht stehen, denn das ist für den Bruterfolg von ganz entscheidender Bedeutung.
Neben dem Kiebitz sind inzwischen auch die Bekassine, die Uferschnepfe, der Große Brachvogel, der Wachtelkönig und viele andere charakteristische Limokolen, wie die Vögel im Fachjargon genannt werden, von der Bildfläche verschwunden. Manche Bestände gelten sogar als vollständig erloschen.
Der Kiebitz ist ein Zugvogel
Als einer der ersten kehrt er zeitig in seine Brutgebiete zurück; in Hessen ist das Ende Februar. Gebrütet wird von Ende März bis Anfang Juni. Die Aufzucht der Jungen reicht somit bis in den Juli hinein. Und im Spätherbst flieht der Kiebitz wieder als einer der ersten in wärmere, südwestliche Gefilde; überwintern tun nur sehr wenige bei uns.
Ein Kiebitzgelege besteht immer aus vier Eiern. Bebrütet wird es von Männchen und Weibchen gleichermaßen, etwa 26 bis 29 Tage lang. Die Jungvögel werden nach 35 bis 40 Tagen flügge.
Wiesenvogellebensräume wieder zu beleben, ist eine der großen Herausforderungen der Zukunft. Noch zeigen viele ehemalige Brutgebiete ein hohes Regenerationspotential, da sich die Gebiete durch ihre Größe, eine Vielfalt an Habitatstrukturen und teilweise unterschiedlichen Nutzungen auszeichnen.
Um dem Kiebitz eine Überlebenschance zu geben, ist ein Umdenken nötig. Und das ist gar nicht so schwierig, wie die folgenden Vorschläge zeigen: Ackerflächen in der Aue sollten in Grünland umgewandelt werden, die Auen sollten wiedervernässt werden und die Ufer an Fließgewässern müssten so abgeflacht so werden, dass das Hochwasser die Wiesen wieder überspülen kann.
Aber auch zusätzliche Maßnahmen wie die Neuanlage von Flutmulden und Senken dürften einen wesentlichen Einfluss auf den Erfolg des Vorhabens haben. Besonders hilfreich wäre eine angepasste Grünlandbewirt-schaftung, die wie folgt aussehen könnte: Extensivierung, kleinteilige Nutzungsmosaike, Pflege von Wiesenbrachen, keine Arbeitsgänge zwischen Mitte März und Anfang Juni und der Verzicht auf Düngung und Pestizide.
Pressecho