Kiebitzschwarm zur Vogelzugzeit | Foto: Pixabay

Kiebitz in Not

Nicht jeder kennt mehr die großen Schwärme der taubengroßen Vögel mit dem lustigen Fe­derschopf auf dem Hinterkopf. Oder ihre akrobati­schen Balzflüge im Frühjahr. Ebenso wenig die in Salz­wasser eingelegten, bunt gesprenkelten Eier, die vor gar nicht allzu langer Zeit noch auf dem Ha­nauer Wochenmarkt als Soleier verkauft wur­den.

 

Nur denjenigen, denen das alles noch allzu gut bekannt ist, ist in den letzten Jahren eins bewusst gewor­den: Den Kiebitz haben sie schon lange nicht mehr zu Gesicht bekommen. 

 

Junge Kiebitze in Langenselbold (c) GNA

 

„Kiewitt, kiewitt" – das ist der Ruf des in Hes­sen inzwischen stark gefähr-deten Wiesenvogels. Er war früher einmal - landauf, landab – weithin zu hören und ein siche­res Zeichen für den be­ginnenden Frühling im Lande.

 

Zu ihren besten Zeiten sollen es über 2.000 Brut­paare gewesen sein, die im feuch­ten Grünland der hessischen Bach- und Fluss­auen nisteten, ihre Jun-gen aufzogen und nach Nahrung suchten. Aber selbst die feuchten Wiesen und Wei­den sind nicht die angestammten Lebens­räume der Wiesen­vögel. Ursprünglich besiedelten sie die natürli­cherweise flachen, baumarmen und weithin offe­nen Land­schaften: Hoch- und Niedermoore, Hei­den, Steppen, Dünen, Ufergrünland oder Salz­wiesen.

 

Erst als Kulturfolger des Menschen haben Wie­senvögel im extensiv bewirt­schafteten, wechsel­feuchten bis nassen Grünland vorüber­gehend günstigere Le­bensbedingungen vor­gefunden. Aber die Ersatzlebensräume sind schon lange nicht mehr das, was sie für das Überleben des Kiebitz einmal waren: Ein sicherer Zufluchtsort in einer von den Be­dürfnissen des Menschen geprägten Umwelt.

 

Ausgedehnte Entwässerungen und der großflä­chige Umbruch von Feucht-grünland zwangen die Flugkünstler dazu, auch die neuen Brut- und Rast­plätze zu räumen und auf Ackerland auszu­weichen. Mit mäßigem bis gar keinem Erfolg: Rasche Fruchtfolgen, Dünger und Pesti­zide lassen den Nachwuchs zu Grunde gehen und immer weniger Kiebitze kehrten nach Hes­sen zurück. Innerhalb weniger Jahre ist der Bestand um 95 % auf nur 150 Brutpaare ge­sun­ken.

 

Mit Ausnahme des Weißstorches, der auf Bäu­men oder Masten, auf Dächern oder Schorn­steinen brütet, haben alle Wiesen­vögel eins gemein-sam: Sie brüten auf dem Boden, so dass die Vögel eine freie Sicht nach allen Sei­ten haben. Das, was sich gegen Räuber und andere Ge­fahren bewährt hat, genau das ist ihnen nun zum Ver­hängnis geworden. Keimt erst einmal die Saat auf dem Acker, entpuppt sich dieser als tückische Falle. Landwirtschaftliche Maschi­nen überfahren Gelege und Jungvögel, Pesti­zide vernichten Käfer und Ameisen, aber auch Regenwürmer, Insek­tenlarven und andere wirbellose Bodentiere, die die Hauptnahrung des Kiebitzes darstellen.

 

Außerdem sind Kiebitzküken nur schwer zu beauf­sichtigen. Als Nest-flüchter verlassen sie gleich nach dem Schlupf ihre Nestmulde und erkunden neugierig die Umgebung. Die Vege­tation darf dabei weder zu hoch sein noch zu dicht stehen, denn das ist für den Bruterfolg von ganz ent­scheidender Bedeutung.

 

Neben dem Kie­bitz sind inzwischen auch die Be­kassine, die Uferschnepfe, der Große Brach­vogel, der Wachtelkönig und viele andere cha­rakteri­stische Limokolen, wie die Vögel im Fach­jargon genannt werden, von der Bildflä­che ver­schwunden. Manche Bestände gelten sogar als vollständig erloschen.

 

Der Kiebitz ist ein Zugvogel

Als einer der ersten kehrt er zeitig in seine Brutgebiete zu­rück; in Hessen ist das Ende Februar. Gebrütet wird von Ende März bis Anfang Juni. Die Auf­zucht der Jungen reicht somit bis in den Juli hinein. Und im Spätherbst flieht der Kiebitz wieder als einer der ersten in wärmere, süd­westliche Gefilde; über­wintern tun nur sehr wenige bei uns.

 

Ein Kiebitzgelege besteht immer aus vier Eiern. Bebrütet wird es von Männchen und Weibchen gleichermaßen, etwa 26 bis 29 Tage lang. Die Jungvögel werden nach 35 bis 40 Tagen flügge.

 

Wiesenvogellebensräume wieder zu beleben, ist eine der großen Heraus­forderungen der Zukunft. Noch zeigen viele ehe­malige Brutgebiete ein hohes Regenerationspoten­tial, da sich die Gebiete durch ihre Größe, eine Vielfalt an Habitatstrukturen und teil­weise unterschiedlichen Nutzungen auszeichnen.

 

Um dem Kiebitz eine Überlebenschance zu ge­ben, ist ein Umdenken nötig. Und das ist gar nicht so schwierig, wie die folgenden Vorschläge zeigen: Ackerflächen in der Aue sollten in Grünland umge­wandelt werden, die Auen sollten wiedervernässt werden und die Ufer an Fließgewässern müssten so abgeflacht so werden, dass das Hochwasser die Wiesen wieder überspülen kann.

 

Aber auch zusätzliche Maßnahmen wie die Neuan­lage von Flutmulden und Senken dürften einen wesentlichen Einfluss auf den Erfolg des Vorha­bens haben. Besonders hilfreich wäre eine ange­passte Grünlandbewirt-schaftung, die wie folgt aus­sehen könnte: Extensivierung, kleinteilige Nut­zungsmosaike, Pflege von Wiesenbrachen, keine Arbeitsgänge zwischen Mitte März und Anfang Juni und der Verzicht auf Düngung und Pestizide.

 

Pressecho

Willkommen im Kiebitzland
Hanauer Anzeiger vom 06.02.2023.jpg
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